Aufruf

„Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen – für Gegenwart und Zukunft“

am Samstag 18. August 2018, 10:30 Uhr am Rathaus Berlin-Spandau - gegenüberliegende Straßenseite neben dem Eiscafé

Das Berliner Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin ruft am 18. August 2018 alle Menschen auf, gemeinsam die Stimme für einen verantwortungsvollen Umgang mit der deutschen Vergangenheit zu erheben und für ein weltoffenes, solidarisches Berlin einzustehen.

Anlass ist die Ankündigung von rechtsextremen Gruppen, an diesem Tag dem rechtskräftig verurteilten Kriegsverbrecher Rudolf Heß zu gedenken und ab 12 Uhr durch Berlin-Spandau zu marschieren. Wir wollen zeigen, dass wir zu einer ehrlichen Erinnerungskultur stehen und die Verantwortung übernehmen, dass sich die Gräuel der Diktatur des Nationalsozialismus nicht wiederholen. Für eine solche demokratische Gesellschaft stehen wir ein!

10:30 Uhr: Kundgebung vor dem Rathaus Spandau
mit Redebeiträgen Lala Süsskind, Vorsitzende Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, Bischof Dr. Markus Dröge, Evangelische Kirche, Prälat Dr. Stefan Dybowski, Katholische Kirche, Ayşe Demir, Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, Christian Hoßbach, Vorsitzender DGB Berlin-Brandenburg und Jan Gabriel, Präsident Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg.

Nach unserer Kundgebung wollen wir uns ab 11 Uhr der Demonstration des „Spandauer Bündnisses gegen Rechts“ am Bahnhof-Spandau anschließen. Diese Demonstration führt zum „Bürgerfest der Demokratie“ (Wilhelmstraße 23) und zur Melanchthon-Kirche (Melanchthonplatz), in der voraussichtlich eine Mahnwache und ein Friedensgebet stattfinden werden.


Mitglieder des Bündnisses unterstützen die Aktion "Ein Cent gegen Nazis"


Anlass und Hintergrund

Am 18. August ist ein rechtsextremer Aufmarsch im Zeitraum 12-20 Uhr in Berlin-Spandau unter dem Motto „Mord verjährt nicht!“ angemeldet. Thema des Aufmarsches ist der 31.Todestag des verurteilten NS-Kriegsverbrechers Rudolf Heß, der am 17. August 1987 in einem Gefängnis in der Spandauer Wilhelmstadt Selbstmord begangen hatte.

Für die Neonazi-Szene gilt Rudolf Heß als Held, eine Figur mit enormer Symbolkraft und Gegenstand revisionistischer Bestrebungen und Mythen. Vor allem seine ideologische Treue zum NS-Regime ist charakteristisch für die Anziehungskraft seiner Person und die Glorifizierung des Nationalsozialismus über seinen Tod hinaus. Um die Umstände des Ablebens von Rudolf Heß ragen sich Mythen und Verschwörungstheorien. In dem Auflagenbescheid zum 19. August 2017 verbot die Versammlungsbehörde jegliche Glorifizierung von Heß. Dennoch stand auf dem Fronttransparent der Demonstration sein berühmter Ausspruch „Ich bereue nichts“, den er in seinem Schlusswort im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess äußerte.

Der Aufmarsch 2017 zog vor allem das Parteien- und Kameradschaftsspektrum der Szene an. Nur vereinzelt nahmen „Autonome Nationalisten“ an dem Aufmarsch teil. Nach Angaben des Tagesspiegels wurde der Aufzug 2017 durch Christian Malcoci aus dem nordrhein-westfälischen Grevenbroich angemeldet. Laut Wikipedia gilt er als einer der „führenden Köpfe der militanten Neonazi-Bewegung in Deutschland und in den Niederlanden“. Zuvor berichtete der Tagesspiegel, dass es sich bei dem Anmelder der Demonstration um Christian Häger handelte. Häger ist Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Mittelrhein und war eine zentrale Figur des ehemaligen Aktionsbüro Mittelrheins. Für seine Aktivitäten im Aktionsbüro war Häger zusammen mit weiteren  Neonazis vor dem Landgericht Koblenz wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt.

1200 aktionsorientierte Neonazis und Mitglieder rechtsextremer Parteien aus dem gesamten Bundesgebiet sowie kleinere Delegationen aus mehreren europäischen Ländern waren 2017 angereist. Weitere 250 Neonazis demonstrierten zudem parallel und „spontan“ in Falkensee (Brandenburg).

Die Spandauer Bezirksverordnetenversammlung hat am 13.06.2018 eine Resolution mit dem Titel „Spandau gegen den Marsch für Kriegsverbrecher Rudolf Heß“ beschlossen. Der Resolutionstext der BVV Spandau lautet: „Die Bezirksverordnetenversammlung Spandau verurteilt den für den 18. August 2018 geplanten Marsch von Neonazis für den Kriegsverbrecher Rudolf Heß. Die Bezirksverordneten stellen klar, dass Spandau kein Wallfahrtsort für Naziverehrer werden darf. Die Spandauerinnen und Spandauer sind ermuntert, sich aktiv zum Beispiel durch die Teilnahme an einer friedlichen Gegenkundgebung zu einer demokratischen Gesellschaft zu bekennen.“

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) hat eine Einschätzung zum „Heßmarsch“ am 18.08.18 erstellt:

Mehr als 1.000 Neonazis erschienen im vergangenen Jahr in Berlin, seit April dieses Jahres wird für den 18. August 2018 erneut ein Aufmarsch zum Gedenken an Rudolf Heß angekündigt. Der Aufmarsch anlässlich des Jahrestages des Suizids des Hitler-Stellvertreters soll aller Voraussicht nach wieder [1] unter dem Motto „Mord verjährt nicht“ in räumlicher Nähe zum Standort des ehemaligen alliierten Kriegsverbrechergefängnisses durch den Bezirk Spandau führen. Die Beteiligung einer vierstelligen Anzahl an rechtsextremen Teilnehmenden ist auch in diesem Jahr, trotz schwächerer Mobilisierung, nicht unrealistisch. Hier finden Sie unsere kurze Einschätzung zu dieser neonazistischen Versammlung.

1.200 aktionsorientierte Neonazis und Mitglieder rechtsextremer Parteien aus dem gesamten Bundesgebiet sowie kleinere Delegationen aus mehreren europäischen Ländern waren 2017 angereist. Weitere 250 Neonazis demonstrierten zudem parallel und „spontan“ in Falkensee (Brandenburg). Auf dem Fronttransparent des Aufmarsches in Spandau prangte das Schlusswort von Rudolf Heß als Angeklagter im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess: „Ich bereue nichts.“[2] Als die Rechtsextremen auf Grund einer zivilgesellschaftlichen Blockade umkehren und auf eine Ausweichroute geleitet werden mussten, griffen gewaltbereite Rechtsextreme aus dem Aufzug heraus Passant_innen, Journalist_innen und Gegendemonstrant_innen an.[3]

Was ist für 2018 zu erwarten?

Bislang erreichte die rechtsextreme Mobilisierung nicht annähernd die Intensität des Vorjahres. Die von rechtsextremer Seite für den Monat August angekündigte „heiße Phase“ der Bewerbung ist bislang noch nicht wahrnehmbar. Klassische Aktionen wie Plakatierungen, Sprühereien oder andere (auch strafrechtlich relevante) Vorfeldaktivitäten sind der MBR bislang nur in einem Fall aus Dortmund bekannt geworden, aber im Hinblick auf den näher rückenden Aufmarschtermin weiterhin zu erwarten. Entsprechende Materialien bieten die Organisator/innen über ihre Internetseite zur Bestellung an. Die erste konkrete Ankündigung zum diesjährigen Aufmarsch wurde bereits im April 2018 veröffentlicht. Bis heute (Stand 06.08.2018) beschränken sich die öffentlich wahrnehmbaren rechtsextremen Aktivitäten in Bezug auf den Aufmarsch nahezu ausschließlich auf den virtuellen Raum. Als Mobilisierungsplattform für den 18. August wird vornehmlich die bereits aus dem vergangenen Jahr bekannte Internetseite der Organisator/innen bzw. der dazugehörige Facebook-Auftritt genutzt. Zuletzt konnten allerdings zwei Veranstaltungen festgestellt werden, ein Vortrag über die Heß-Kampagne am 14. Juli bei einem „Sommerfest des nationalen Widerstands“ in Hamm sowie am 21. Juli in Berlin eine „Info-/Soliveranstaltung“ für den Heß-Aufmarsch unter Mitwirkung bekannter rechtsextremer Liedermacher, organisiert durch den stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke. Auch beim Sommerfest der Berliner NPD am 4. August in der Köpenicker Parteizentrale wurde der Heß-Aufmarsch durch ein Transparent hinter der Bühne beworben.

Durch die in rechtsextremen Kreisen breit rezipierte Verschwörungserzählung über seine angebliche Ermordung, strahlt die Figur Rudolf Heß eine nicht zu unterschätzende Symbolkraft aus. Regelmäßig marschierte seit 2001 eine bis zu vierstellige Anzahl Neonazis beim jährlichen „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ durch das bayerische Wunsiedel, wo Heß bis 2011 begraben lag. Ab 2005 wurden die Aufzüge verboten, da sie „die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft“ verherrlichten und eine Störung des „öffentlichen Friedens in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise“ darstellten. [4] Um die Aufzüge dennoch durchführen zu können, wurden sie daraufhin zu anderen Themen und unter anderen Mottos angemeldet.

An diese Praxis versucht die Neonaziszene seit letztem Jahr auch in Spandau anzuschließen.

Die bisherige Verbreitung der Veröffentlichungen in den sozialen Netzwerken und auf Internetseiten der rechtsextremen Szene lässt erneut auf eine bundesweite Resonanz schließen. Sowohl Strukturen von „DIE RECHTE“ als auch der NPD und „Freier Kräfte“ bewerben den Aufmarsch, relevante Einzelpersonen vom „III. Weg“ ebenfalls. Das entspricht auch ungefähr der Zusammensetzung der Teilnehmenden des letzten Jahres. Regionale Schwerpunkte der Thematisierung sind bislang Westdeutschland (Rheinland und Ruhrgebiet) und Sachsen. Es gibt Busankündigungen aus Dresden (Sachsen), Wuppertal (NRW), dem „Großraum Aachen, Düren, Heinsberg“ (ebenfalls NRW) sowie aus Norddeutschland. Von weiteren Bussen und organisierten Anreisen aus anderen Städten ist auszugehen.

Vor dem Hintergrund, dass im Vorjahr mit dem 30. Todestag von Heß‘ als rundem Jahrestag und einer größeren und intensiveren Mobilisierung samt bundesweiter Vorfeldkampagne der Termin als das Szeneevent 2017 aufgewertet wurde, dürfte dieses Jahr – auch mit Blick auf die später einsetzende, weniger aufwändige Mobilisierung – die Beteiligung womöglich etwas niedriger ausfallen. In diesem Zusammenhang ist es jedoch wichtig zu betonen: Der Termin muss als in der Szene gesetzt betrachtet werden, für den organisierten Kern ist es nicht notwendig den Anlass größer zu bewerben. Die Wiederaufnahme der bundesweiten Heß-Märsche kann als Ausdruck einer Rückbesinnung der Neonaziszene auf das zutiefst bindende Identitätsthema der Verherrlichung des Nationalsozialismus gedeutet werden.

Ein aus Sicht der Organisatoren als Erfolg darstellbarer Verlauf des Aufmarsches am 18. August, könnte nach Einschätzung der MBR eine neue Tradition regelmäßiger rechtsextremer Großaufmärsche in Berlin begründen.

Alle Informationen zu den geplanten Gegenprotesten finden Sie bei unserem Partnerprojekt Berlin gegen Nazis

[1] Vgl. https://www.mbr-berlin.de/aktuelles/bundesweite-mobilisierung-zu-rechtsextremen-rudolf-hess-marsch-im-august/

[2] https://rechtsaussen.berlin/2017/08/hess-revival-in-berlin/

[3] http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-12133.pdf

[4] http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2005/08/qk20050816_1bvq002505.html